Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
icon

 

Seid gegrüßt, meine Weblog-Gäste!
Heute möchte ich Euch gerne wieder einmal in die Welt der Bücher entführen, wenn Ihr mögt.

Wie Ihr ja bestimmt schon wisst, liebe ich das Lesen und lesend reise ich auch immer wieder gern in die Vergangenheit, um den Personen, die vor mir gelebt, geliebt und gelitten haben, zu "begegnen". Des öfteren stoße ich dabei auf Menschen, die bei mir das Gefühl hinterlassen, dass sie mit ihrem damaligem Wirken wegbereitend für unser heutiges Bewusstsein waren. Ein Bewusstsein, welches wir als ganz selbstverständlich zu nutzen gewohnt sind und welches wir des öfteren auch gerne nur uns selber und unserer modernen Zeit zuschreiben. Ohne einen Blick hinter die jeweils lange Entwicklungsgeschichte einer jeden Bewußtseinsebene zu werfen, die immer auch auf vielen menschlichen Tragödien beruht. Zu diesen "Wegbereitern" zähle ich Friedrich Nietzsche, der im Oktober 1844 geboren wurde und im August 1900 nach unendlichem Ringen um die Wahrheit hinter der Moral verstarb.

Damals, als das enge Korsett der Moral in Deutschland fast das gesamte Leben von Geburt an bestimmte, war es sicherlich ein mehr wie mutiger Schritt, eben diese Moral zum Kritikpunkt zu machen. Allerdings könnte man ihn wohl auch als den verzweifelten Schritt eines in Seelennot geratenen Menschen bezeichnen. Eine Seelennot, die Nietzsche selber höchstwahrscheinlich gar nicht in ihrem eigentlichen Sinn erkennen durfte und konnte - die er aber zu spüren und über seine Philosophie aufzugreifen in der Lage war.

Es ist gut vorstellbar, dass das sensible und kreative Kind - welches Nietzsche gewesen sein soll - durch die strenge preußische Erziehung (deren Hauptziel die Abtötung jeglichen Gefühls zugunsten des Gehorsam darstellt) großen Schaden nahm. Aber auch sein Vater, der 1848 gemütskrank wurde und ein Jahr darauf starb, hat gewiss zu einer Furcht vor dem eigenen Seelenleben beigetragen. Dergestalt in "Ketten gelegt", muss der innere Seelenpanzer sehr dick gewesen sein, dennoch gab Nietzsche nie auf und scheint bis zu seinem Ende in einem gewissen Sinne um die Befreiung seiner Seele gerungen zu haben. Um seine, aber auch um die der Menschheit.

Wie sehr ihm sein innerer Seelenzustand zusetzte - der sich auch in vielen schweren körperlichen Krankheiten auszudrücken schien - ist in seinen Briefen und Aufzeichnungen nachzulesen. Um so mehr bewundere ich seinen Mut und Willen, sich nicht von diesen Zuständen besiegen zu lassen und immer wieder denkend und sinnend dagegen anzuschreiben.
Notizzettel Nietzsches
Ganz besonders beeindruckt hat mich seine 1881 erschienene "Morgenröte", in der er intensiv versucht, moralische Vorurteile kenntlich zu machen und von wirklichem Erleben zu trennen. In einer Zeit, in der beides wohl fast noch ungefiltert als zum Menschen und Leben gehörig gesehen wurde, muss das ein ausgesprochen anstrengender, mutiger, aber auch isolierender Erkenntnisakt gewesen sein. Dennoch kann ich als "Nachgeborene" - die Nietzsches Philosophie nur durch einen über 100-jährigen Zeittunnel nachträglich zu betrachten vermag - trotz aller Bewunderung den Umstand nicht außer Acht lassen, dass eben diese Philosophie auch auf eine Gesinnung wie die Hitlers unterstützend wirkte. Für Nietzsche selber hat diese Verknüpfung niemals stattgefunden, denn sie geschah erst ca. 40 Jahre nach seinem Tod. Für mich aber ist sie relevant, denn wenn eine Philosophie in diesem Sinne eingesetzt werden kann, haftet ihr etwas Fragwürdiges an. Doch dieses Thema ist inhaltsschwer genug, um mindestens noch einmal einen eigenen Tagebucheintrag zu füllen. Letztendlich überwiegt für mich die Ehrfurcht vor dem Bemühen Nietzsches, das bis dahin Unsagbare - auch für uns Nachgeborene - in Worte zu fassen.

Nachfolgend habe ich Euch deshalb einige Stellen aus Nietzsches "Morgenröte" zusammengestellt, die mich besonders faszinieren. Vor allem das Bildnis des Grabenden, als jemanden, der in seinen eigenen Seelenlandschaften unterwegs ist, um aus ihnen eine Erkenntnis hervorzufördern, hat etwas Bestechendes für mich.

Ich wünsche Euch eine spannende Reise in die Seelen- und Gedankenwelt Nietzsches!
Seid herzlich gegrüßt

von

Sarah-Lee


~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~


Friedrich Nietzsche - Morgenröte (1881)

Friedrich Nietzsche

Es gibt so viele Morgenröten,
die noch nicht geleuchtet haben.


In diesem Buche findet man einen »Unterirdischen» an der Arbeit, einen Bohrenden, Grabenden, Untergrabenden. Man sieht ihn, vorausgesetzt, daß man Augen für solche Arbeit der Tiefe hat -, wie er langsam, besonnen, mit sanfter Unerbittlichkeit vorwärts kommt, ohne daß die Not sich allzusehr verriete, welche jede lange Entbehrung von Licht und Luft mit sich bringt; man könnte ihn selbst bei seiner dunklen Arbeit zufrieden nennen. Scheint es nicht, daß irgendein Glaube ihn führt, ein Trost entschädigt? Daß er vielleicht seine eigne lange Finsternis haben will, sein
Unverständliches, Verborgenes, Rätselhaftes, weil er weiß, was er auch haben wird: seinen eignen Morgen, seine eigne Erlösung, seine eigne Morgenröte?...Gewiß, er wird zurückkehren: fragt ihn nicht, was er da unten will, er wird es euch selbst schon sagen, dieser scheinbare Trophonios und Unterirdische, wenn er erst wieder »Mensch geworden« ist. Man verlernt gründlich das Schweigen, wenn man so lange, wie er, Maulwurf war, allein war.

In der Tat, meine geduldigen Freunde, ich will es euch sagen, was ich da unten wollte, hier in dieser späten Vorrede, welche leicht hätte ein Nachruf, eine Leichenrede werden können: denn ich bin zurück gekommen und - ich bin davongekommen. Glaubt ja nicht, daß ich euch zu dem gleichen Wagnisse auffordern werde! Oder auch nur zur gleichen Einsamkeit! Denn wer auf solchen eignen Wegen geht, begegnet niemandem: das bringen die »eignen Wege« mit sich. Niemand kommt, ihm dabei zu helfen; mit allem, was ihm von Gefahr, Zufall, Bosheit und schlechtem Wetter zustößt, muß er allein fertig werden. Er hat eben seinen Weg für sich - und, wie billig, seine Bitterkeit, seinen gelegentlichen Verdruß an diesem »für sich«: wozu es zum Beispiel gehört, zu wissen, dass selbst seine Freunde nicht erraten können, wo er ist, wohin er geht, daß sie sich bisweilen fragen werden »wie? geht er überhaupt? hat er noch - einen Weg?«

Damals unternahm ich etwas, das nicht jedermanns Sache sein dürfte: ich stieg in die Tiefe, ich bohrte in den Grund, ich begann ein altes Vertrauen zu untersuchen und anzugraben, auf dem wir Philosophen seit ein paar Jahrtausenden wie auf dem sichersten Grunde zu bauen pflegten, - immer wieder, obwohl jedes Gebäude bisher einstürzte: ich begann unser Vertrauen zur Moral zu untergraben. Aber ihr versteht mich nicht?
In Gegenwart der Moral soll eben, wie angesichts jeder Autorität, nicht gedacht, noch weniger geredet werden: hier wird - gehorcht! So lang die Welt steht, war noch keine Autorität willens, sich zum Gegenstand der Kritik nehmen zu lassen; und gar die Moral kritisieren, die Moral als Problem, als problematisch nehmen.
Ebenso hat der Mensch allem, was da ist, eine Beziehung zur Moral beigelegt und der Welt eine ethische Bedeutung über die Schulter gehängt.
Wir müssen die viele falsche Großartigkeit wieder aus der Welt schaffen, weil sie gegen die Gerechtigkeit ist, auf die alle Dinge vor uns Anspruch haben!
Haben die wirklichen Dinge oder die eingebildeten Dinge mehr zum menschlichen Glück beigetragen? Gewiß ist, daß die Weite des Raumes zwischen höchstem Glück und tiefstem Unglück erst mit Hilfe der eingebildeten Dinge hergestellt worden ist. Diese Art von Raumgefühl wird folglich, unter der Einwirkung der Wissenschaft, immer verkleinert: so wie wir von ihr gelernt haben und noch lernen, die Erde als klein, ja das Sonnensystem als Punkt zu empfinden.
Helft, ihr Hilfreichen und Wohlgesinnten, doch an dem einen Werke mit, den Begriff der Strafe, der die ganze Welt überwuchert hat, aus ihr zu entfernen! Es gibt kein böseres Unkraut! Nicht nur in die Folgen unserer Handlungsweisen hat man ihn gelegt - und wie schrecklich und vernunftwidrig ist schon dies, Ursache und Wirkung als Ursache und Strafe zu verstehen! - aber man hat mehr getan und die ganze reine Zufälligkeit des Geschehens um ihre Unschuld gebracht, mit dieser verruchten Interpretationskunst des Straf-Begriffs. Ja, man hat die Tollheit so weit getrieben, die Existenz selber als Strafe empfinden zu heißen, - es ist, als ob die Phantasterei von Kerkermeistern und Henkern bisher die Erziehung des Menschengeschlechts geleitet hätte!
Jeder kleinste Schritt auf dem Felde des freien Denkens, des persönlich gestalteten Lebens ist von jeher mit geistigen und körperlichen Martern erstritten worden: nicht nur das Vorwärts-Schreiten, nein! vor allem das Schreiten, die Bewegung, die Veränderung hat ihre unzähligen Märtyrer nötig gehabt, durch die langen pfadsuchenden und grundlegenden Jahrtausende hindurch, an welche man freilich nicht denkt, wenn man, wie gewohnt, von »Weltgeschichte«, von diesem lächerlich kleinen Ausschnitt des menschlichen Daseins redet.
Die Praktiken, welche in der verfeinerten Gesellschaft gefordert werden: das sorgfältige Vermeiden des Lächerlichen, des Auffälligen, des Anmaßenden, das Zurückstellen seiner Tugenden sowohl wie seiner heftigeren Begehrungen, das Sich-gleichgeben, Sich-einordnen, Sich-verringern, - dies alles als die gesellschaftliche Moral ist im groben überall bis in die tiefste Tierwelt hinab zu finden, - und erst in dieser Tiefe sehen wir die Hinterabsicht aller dieser liebenswürdigen Vorkehrungen: man will seinen Verfolgern entgehen und im Aufsuchen seiner Beute begünstigt sein. ........ So verbirgt sich der einzelne unter der Allgemeinschaft des Begriffes »Mensch« oder unter der Gesellschaft.
Die Institution der Ehe hält hartnäckig den Glauben aufrecht, daß die Liebe, obschon eine Leidenschaft, doch als solche der Dauer fähig sei, ja daß die dauerhafte lebenslängliche Liebe als Regel aufgestellt werden könne. Durch diese Zähigkeit eines
edlen Glaubens, trotzdem daß derselbe sehr oft und fast in der Regel widerlegt wird und somit eine pia fraus ist, hat sie der Liebe einen höheren Adel gegeben.
Man denke an Institutionen und Sitten, welche aus der feurigen Hingebung des Augenblicks die ewige Treue geschaffen haben, aus dem Gelüst des Zornes die ewige Rache, aus Verzweiflung die ewige Trauer, aus dem plötzlichen und einmaligen Worte
die ewige Verbindlichkeit. Jedesmal ist sehr viel Heuchelei und Lüge durch eine solche Umschaffung in die Welt gekommen: jedesmal auch, und um diesen Preis, ein neuer übermenschlicher, den Menschen hebender Begriff.
..... indem man ebenso grundsätzlich den wahren natürlichen Folgen einer Handlung ein viel geringeres Augenmerk schenkte, als den übernatürlichen (den sogenannten Strafen und Gnaden der Gottheit). Es sind zum Beispiel bestimmte Bäder für bestimmte Zeiten vorgeschrieben: man badet, nicht um rein zu werden, sondern weil es vorgeschrieben ist. Man lernt nicht die wirklichen Folgen der Unreinlichkeit fliehen, sondern das vermeintliche Mißfallen der Götter an der Versäumnis eines Bades. Unter dem Drucke abergläubischer Angst argwöhnt man, es müsse sehr viel mehr mit diesem Abwaschen der Unreinlichkeit auf sich haben, man legt zweite und dritte Bedeutungen hinein, man verdirbt sich den Sinn und die Lust am Wirklichen und hält dies zuletzt, nur insofern es Symbol sein kann, noch für wertvoll.
Ersichtlich werden moralische Gefühle so übertragen, daß die Kinder bei den Erwachsenen starke Neigungen und Abneigungen gegen bestimmte Handlungen wahrnehmen und daß sie als geborene Affen diese Neigungen und Abneigungen nachmachen; im späteren Leben, wo sie sich voll von diesen angelernten und wohlgeübten Affekten finden, halten sie ein nachträgliches Warum, eine Art Begründung, daß jene Neigungen und Abneigungen berechtigt sind, für eine Sache des Anstandes. Diese »Begründungen« aber haben weder mit der Herkunft, noch dem Grade des Gefühls bei ihnen etwas zu tun: man findet sich eben nur mit der Regel ab, daß man als vernünftiges Wesen Gründe für sein Für und Wider haben müsse, und zwar angebbare und annehmbare Gründe.
Derselbe Trieb entwickelt sich zum peinlichen Gefühl der Feigheit, unter dem Eindruck des Tadels, den die Sitte auf diesen Trieb gelegt hat: oder zum angenehmen Gefühl der Demut, falls eine Sitte, wie die christliche, ihn sich ans Herz gelegt und gut geheißen hat. Das heißt: es hängt sich ihm entweder ein gutes oder ein böses Gewissen an! An sich hat er, wie jeder Trieb, weder dies noch überhaupt einen moralischen Charakter und Namen, noch selbst eine bestimmte begleitende Empfindung der Lust oder Unlust.
Jetzt gehört es nicht nur zu meinen Gewohnheiten, sondern auch zu meinem Geschmacke - einem boshaften Geschmacke vielleicht? -, nichts mehr zu schreiben, womit nicht jede Art Mensch, die »Eile hat«, zur Verzweiflung gebracht wird.

Philologie nämlich ist jene ehrwürdige Kunst, welche von ihrem Verehrer vor allem eins heischt, beiseite gehn, sich Zeit lassen, still werden, langsam werden -, als eine Goldschmiedekunst und -kennerschaft des Wortes, die lauter feine vorsichtige Arbeit abzutun hat und nichts erreicht, wenn sie es nicht langsam erreicht. Gerade damit aber ist sie heute nötiger als je, gerade dadurch zieht sie und bezaubert sie uns am stärksten, mitten in einem Zeitalter der »Arbeit«, will sagen: der Hast, der unanständigen und schwitzenden Eilfertigkeit, das mit allem gleich »fertig werden« will, auch mit jedem alten und neuen Buche: - sie selbst wird nicht so leicht irgend womit fertig, sie lehrt gut lesen, das heißt langsam, tief, rück- und vorsichtig, mit Hintergedanken mit offengelassenen Türen, mit zarten Fingern und Augen lesen... Meine geduldigen Freunde, dies Buch wünscht sich nur vollkommne Leser und Philologen: lernt mich gut lesen!




MEINE HOFFNUNG

In deinem Alter, Kind,
hat jeder Mensch noch Gründe,
anzunehmen,
er könnte
fliegen wie laufen
lernen.

Ich werde mich hüten,
dich aufzuklären.

Vielleicht
bin doch ich es, der sich irrt.

(Heinz Kahlau)
Seelennahrung

WER SCHMETTERLINGE LACHEN HÖRT

Wer Schmetterlinge lachen hört,
der weiß wie Wolken schmecken.
Der wird im Mondschein, ungestört
von Furcht, die Nacht entdecken.

Der wird zur Pflanze, wenn er will;
zum Tier, zum Narr, zum Weisen,
und kann in einer Stunde nur
durch's ganze Weltall reisen.

Der weiß, daß er nichts weiß,
wie alle andern auch nichts wissen;
nur weiß er, was die anderen
und er selbst noch lernen müssen.

Wer in sich fremde Ufer spürt
und Mut hat, sich zu recken,
der wird allmählich, ungestört
von Furcht, sich selbst entdecken.

Abwärts zu den Gipfeln
seiner selbst bricht er hinauf;
den Kampf mit seiner Unterwelt
nimmt er gelassen auf.

Wer Schmetterlinge lachen hört,
der weiß wie Wolken schmecken.
Der wird im Mondschein, ungestört
von Furcht, die Nacht entdecken.

Wer mit sich selbst in Frieden lebt,
der wird genauso sterben,
und ist selbst dann lebendiger
als alle seine Erben.

(Novalis)
Seelennahrung

EINE BIOGRAPHIE

Als er klein war, sagten ihm die Großen:
Du musst warten, wachsen und gedeihn.
Und sie haben ihn zurückgestoßen,
als er wagte, groß und kühn zu sein.

Als er jung war, sagten ihm die Alten:
Du musst älter werden und gescheiter sein.
Und sie schafften es, ihn aufzuhalten,
und sie sperrten seine Einfalt ein.

Als er groß war, war er für die Taten
schon zu alt geworden und ihm fehlte Schwung.
Und er ging, die Jungen zu verraten,
denn sie waren ihm zu kühn und viel zu jung.

(Heinz Kahlau)
Seelennahrung

Hoffnung II

Wer hofft,
ist jung.

Wer könnte atmen
ohne Hoffnung,

daß auch in Zukunft
Rosen sich öffnen,

ein Liebeswort
die Angst überlebt.

(Rose Ausländer)
Seelennahrung

DIE VERHÄLTNISSE

Die Verhältnisse,
in denen du
nichts Neues über dich
erfährst,

die Verhältnisse,
die dich kleiner machen
als deine Freunde
dich kennen,

die Verhältnisse,
in denen du
den Kopf einziehen
und die Knie beugen musst,
um stehen zu bleiben -

diese Verhältnisse
musst du
verändern oder
verlassen.

(Heinz Kahlau)
Seelennahrung

Unendlich

Vergiß deine Grenzen,
wandre aus.

Das Niemandsland
Unendlich nimmt dich auf.

(Rose Ausländer)



Hallo, alle miteinander!

Auf meinen letzten Eintrag hin - in dem ich mich angesichts der momentanen Lage mit der Haltung des Friedens befasst habe - haben mich so einige Kommentare und Mails erreicht, welche aufgrund ihrer reichhaltigen Palette von Aussagen sehr spannend für mich zu lesen waren. Da standen Kommentare, die meine Ansicht als eine naive betrachteten, neben solchen, die meine Herangehensweise als eine ausgesprochen komplexe und schwer zu erfüllende ansahen. Und als ich so darüber nachdachte, musste ich zugeben, dass beide Seiten - jeweils auf ihren eigenen Blickwinkel bezogen - recht hatten. Ebenso wie diejenigen Aussagen, die sich mehr in der Mitte der Polaritätsskala ansiedelten. Einmal mehr empfand ich, wie sehr alles meistens nur von einem gewissen Standpunkt aus betrachtet und wahrgenommen wird und dadurch jeweils ganz andere Ergebnisse und Meinungen zeitigt.

Gemessen an den komplexen weltlichen Entwicklungen und Verknüpfungen, kann ich in einem gewissen Sinn gewisslich eine Träumerin genannt werden. Vermute ich doch (langfristige) Lösungsmöglichkeiten in den Seelen einzelner Menschen und ihrem - im Vergleich zum überdimensionalen Ausmaß des Weltgeschehens - unbedeutenden und klein zu nennenden Lebens. Zudem plädiere ich angesichts eines ausgeprägten weltlichen Machtgefüges auch noch für einen sanften und wenig Aufsehen erregenden Weg, der erst einmal bei sich selber ansetzt.

Das hat ein bisschen etwas von David gegen Goliath und erscheint deshalb so manchem wahrscheinlich als ein wenig lächerlich. Aber im Grunde genommen stelle ich meine Ausrichtung des inneren Seelenweges sehr bewusst gegen die Betonung der rational-weltlichen Sichtweise (was immer man darunter jeweils verstehen mag) und der intensiven Prägung des äußeren Weltgeschehens. Erscheint mir dieser Weg doch als derjenige, der bis jetzt viel zu wenig Beachtung findet und dessen reale Möglichkeiten meines Erachtens noch nicht einmal annähernd ausgelotet wurden. Vor allem aber scheint mir der Zusammenhang zwischen unserem inneren Seelenerleben und den daraus entstehenden äußeren Haltungen und Handlungen noch nicht einmal ansatzweise in das Bewusstsein der Allgemeinheit gedrungen zu sein. Ein Zusammenhang, der meiner Einschätzung nach immer im Kleinen und beim Einzelnen beginnt und sich dann erst ins öffentliche Leben fortpflanzt. Sind wir dann - wie jetzt - im Großen mit den Auswirkungen konfrontiert, ist der Zusammenhang kaum mehr nachvollziehbar und erkennbar, vor allem aber auch kaum noch beeinflußbar. Weshalb ich denn auch lieber gleich im Kleinen ansetze!

Natürlich ist meine Haltung keine Lösungsmöglichkeit für das aktuelle Geschehen, so wie ich auch überhaupt nicht davon ausgehe, irgendwelche kurzfristig und konkret umsetzbaren Lösungsmöglichkeiten anbieten zu können. Alles, was ich zu geben vermag, sind meine Lebenserfahrung, meine Beobachtungen, mein Einfühlungsvermögen und meine daraus resultierende Sichtweise der Ereignisse. Da ich meine Meinung aber auch niemals als eine alleingültige begreife, sondern immer nur als eine unter vielen, erscheint sie mir in dem Gefüge verschiedenster Ausrichtungen durchaus eine wichtige (wenn auch oft verkannte) Ebene zu sein, für die ich mich einsetzen möchte.

Man mag mich in diesem Sinne als eine Träumerin bezeichnen, weil ich auf etwas setze, was für die meisten Menschen immer noch keine reale Relevanz hat, aber ein reiner "Traum" ist meine Ausrichtung gewisslich nicht, wie schon diejenigen bemerkten, die meine Herangehensweise als eine sehr schwierig zu erfüllende betrachteten. All die Menschen, die den Mut aufbringen, sich wirklich auf die eigene Seele, die eigenen komplexen Gefühlsverbindungen und -muster tiefergehend einzulassen, werden dies nachvollziehen können. Uns selbst zu ändern ist gewiss immer wieder auch ein ausgesprochen schwieriger und anstrengender Akt (der allerdings auch seine ganz eigene Belohnung in sich trägt). Jeder, der das wirklich dauerhaft versucht, wird wissen, wie schnell wir an unsere menschlichen Grenzen kommen. Ich wage in diesem Zusammenhang einmal die Vermutung, dass es in so manchen Fällen wesentlich leichter sein kann, einen Krieg anzuberaumen als sich mit den eigenen Gefühlstiefen zu konfrontieren. Diese Schwierigkeit wurde von
Oceanphoenix in einem Gästebucheintrag neulich sehr einfühlsam dargestellt, weshalb ich an dieser Stelle gerne einen Auszug daraus wiedergeben möchte.

"Über sich selbst hinauszusehen, die Einheit und Verflochtenheit aller Elemente des Lebens als Grundlage der Welt, wie wir sie wahrnehmen, zu erkennen, ist unglaublich schwer - dies ganz besonders in Zeiten der Verwirrung, Frustration und Schmerz, wo die Tendenz doch eher zu Rückzug und Reduzierung auf wenige Punkte der eigenen kleinen Welt geht - aus Selbstschutz. Ich merke das selber so oft an mir und ärgere mich dann über mich selbst. Oftmals gelingt es ja noch nicht einmal im Kleinen, Missverständnisse und voreilige Reaktionen zu vermeiden. Da stellt sich fast automatisch die Frage: wie soll es dann erst im Grossen gelingen, wenn so enorme Interessenkonflikte auftreten, gepaart mit einem riesigen Potential an Egoismus und Macht-Denken? Ein schier unlösbar erscheinendes Problem. Aber es ist an uns, im Kleinen anzufangen und - so naiv sich das vielleicht jetzt anhören mag - Frieden mit dem "Nächsten" zu machen - und vor allen Dingen nie aufzugeben in dem Bestreben, sich selbst zu überwinden. Das können wir tun, und es trägt mit Sicherheit im positiven Sinne zu dem Ganzen bei."

Da mir nun wieder einmal die Zeit davonläuft, muss ich mich mit diesem einfühlsamen Eintrag von
Oceanphoenix für heute leider auch schon von Euch verabschieden. Aber das Thema selber werde ich gewisslich noch häufig aufgreifen!

Auf ganz bald und seid alle herzlich gegrüßt,

Sarah-Lee


Caspar David Friedrich

Seid gegrüßt in meinem Tagebuch, Ihr Leser!

Nun ist er also ausgebrochen, der Krieg und nimmt unaufhaltsam seinen schrecklichen Lauf. Und wie wohl bei den meisten von uns, ruft diese fürchterliche Tatsache viele Gefühle in mir hervor, die alle von Trauer, Wut, Resignation und auch einer gewissen Fassungslosigkeit geprägt sind.

Natürlich war er den ganzen Vorzeichen nach zu erwarten gewesen, dieser Krieg, und dennoch kann und will ich einfach nicht glauben, dass wir selbst heute im Jahr 2003 (!!!) immer noch nicht in der Lage sein sollen, unsere Konflikte anders zu lösen als auf diese zerstörerische und menschenverachtende Art und Weise! In diesem Zusammenhang stellt sich mir des öfteren die bittere Frage, wozu die ganze jahrtausendwährende Entwicklung der Menschheit überhaupt gut gewesen sein soll, wenn uns im Problemfall selbst heute immer noch keine andere Antwort als die der Menschenvernichtung möglich erscheint und wir diese auch nach wie vor als verantwortbar halten. Diese Frage ist natürlich eine überspitzte, die ihre Nahrung allein aus meiner Frustration erhält. Weite ich meinen Blickwinkel wieder ein wenig, nehme ich gott sei Dank auch Anderes wahr, wie die gewaltigen und nicht enden wollenden Friedensmärsche, deren reine Existenz uns von einem großen Bewußtseinswandel in der Menschheitsgeschichte erzählt. Dennoch ist es immer noch der Krieg, der regiert, und mich unter anderem mit der Frage quält, weshalb die Waagschale unserer gewaltig gewachsenen Möglichkeiten immer wieder und immer noch auf dieser destruktiven Seite ausschlägt.
Hieronymus Bosch, 1450-1516
Gewachsen sind unsere Möglichkeiten vor allem wohl durch und im Bereich der Technik. Hier haben wir westlichen Länder einen gewaltigen und im Grunde genommen bewunderungswürdigen Fortschritt erzielt. Wenn man aber sieht, wohin wir damit immer wieder steuern, stellt sich einem die Frage, wie es eigentlich um den Fortschritt unserer Seele und unseres Verstandes - unseres Menschseins an sich - steht? Denn wofür wir unser enormes Wissen einsetzen, hat zu allererst immer mit unserer inneren Ausrichtung und Haltung als Mensch zu tun. Der eines jeden Einzelnen und der einer jeden Gesellschaft und daraus resultierend der eines jeden Volkes.

Wie besonnen und weitblickend können wir umgehen mit Bedrohungen, Ängsten, Ohnmachtsgefühlen, Abhängigkeiten, inneren und äußeren Einsamkeiten? Bei uns selbst, unseren Mitmenschen, unserem Volk und anderen Völkern? Wie ehrlich und offen können wir bleiben, wenn unsere Existenz und unser Empfinden bedroht sind? Wie weit können wir trotzdem noch über unseren eigenen Tellerrand schauen und den Versuch von Fairness und Toleranz aufrecht erhalten? Kaum einer von uns scheint mir in Haltungen wie dieser sonderlich weit gediehen, was auch ein Wunder wäre, wenn man bedenkt, wie wenig konkrete Anleitung und Unterstützung wir in diesen Bereichen erhalten und wie sehr in fast allen Gesellschaftssystemen nach wie vor die Macht des Stärkeren und die der Hierarchien herrscht. Dennoch scheinen mir friedvolle Wege etwas zu sein, dass nur aus uns allen heraus entstehen kann.
Hieronymus Bosch, 1450-1516
Frieden - der sehr wohl Grenzziehungen und feste Standpunkte beinhaltet, aber keine der reinen Machtausübung - ist für mich eine innere Haltung, die ihren Blick über die eigenen Bedürfnisse und Verletzlichkeiten hinaus immer auch auf ein Gesamtwohl und die Zukunft der Menschheit gerichtet hält. Ein hohes Ziel und in den meisten aller Fällen werden wir uns auf diesem steilen Pfad wohl ersteinmal hauptsächlich stolpernd und strauchelnd wiederfinden. Verloren in den Wandlungen und Verletzlichkeiten unserer Seele und unseres Lebens. Froh um jeden Schutz und jede abgrenzende Macht und Kontrolle, die wir noch gegen die Bedrohungen des Lebens aufbauen können. Doch wir können ihn immer wieder aufnehmen - diesen Blickwinkel, der über uns hinausführt - auch und gerade nach Phasen des Suchens, der Irrungen und Wirrungen, die ja immer auch Erkenntnisse und einen Zuwachs an Erfahrung mit sich bringen. Und je öfter wir dies tun und je mehr Leute sich dazu bereit erklären, um so größer wird die gelegte Basis, die auf der Welt zu einem besonnenen Umgang miteinander führt und damit zur Grundlage eines jeden Friedens.

Wahrscheinlich führt nur ein gewisses Bewusstsein zu dieser über uns hinausreichenden Haltung, welches für uns Menschen kein einfaches oder natürlich gegebenes zu sein scheint. Nämlich dasjenige, dass wir nichts - aber auch gar nichts - tun können, ohne dass es Wirkungen zeitigt, die wiederum auf uns zurückfallen werden. Wenn ein Mensch unterdrückt und (in welchem Sinne auch immer) misshandelt wird, wird er sich irgendwie wehren müssen. Wenn eine Gruppe von Menschen mit Vorurteilen aus der Gesellschaft gedrängt wird, wird sie sich höchstwahrscheinlich gegen diese Gesellschaft formieren. Wenn ein Volk zum Feind erklärt und bekämpft wird, wird es ebenso heftig reagieren und agieren müssen. Immer mit den Mitteln, die den Menschen in ihrer jeweiligen Verzweiflung, Wut und Ohnmacht zur Verfügung stehen. Und gerade die letzte Verzweiflung kann in all ihrer Aussichtslosigkeit auf beiden Seiten zu ungeahnten und auch ungeheuerlichen Kräften und Auswirkungen führen, unter denen wiederum weitere Menschen leiden und reagieren müssen. Wir sind ein unendlich weites menschliches Verbundsystem, in der eine Entwicklung in die nächste greift, das ist es, was wir verstehen lernen müssen. Und allein insofern sollten wir trotz und in aller Unterschiedlichkeit und Individualität - die es stets zu wahren gilt - gut aufeinander achten.
Hieronymus Bosch, 1450 - 1516
Doch auch dieses Bewusstsein setzt wiederum etwas voraus. Nämlich die Fähigkeit, sich selbst und andere möglichst klar in allen wirkenden Bezügen zu sehen, ohne Projektionen, Schuldzuweisungen und Idealisierungen benutzen zu müssen. Innere Vorstellungen von Gut und Böse, Freund und Feind, gläubig und ungläubig scheinen mir - wie letztlich alle Polaritäten - den Nährboden für reichhaltige Projektionen jeglicher Art zu bilden. Letztlich sind es Aufspaltungen, die wir da vornehmen, wenn wir jemanden zu einem schlechten Menschen und ganze Menschengruppen wiederum zu einem gefährlichen Volk erklären. Spaltungen in Ich und Du, Wir und Ihr, Außen und Innen. Aber damit werden wir der menschlichen Realität nicht gerecht, wenn auch in jeder dieser Wahrnehmungen ein Körnchen Wahrheit stecken wird. Aber eben nur ein Körnchen, das beiweiten noch nicht die ganze Ähre oder gar die Gesamtheit des Getreidefeldes ausmacht - um es einmal metaphorisch auszudrücken.

Zugegeben, es wird komplex, wenn wir bereits im alltäglichen Miteinander verstehen lernen wollen, dass alles in allem enthalten ist. Wenn wir erkennen, dass das, was wir im Außen und in Anderen sehen, immer auch in uns sitzt. Denn wie sonst könnten wir es überhaupt wahrnehmen? Wir mögen es vielleicht anders leben, bzw. aufgrund der Gnade besserer Umstände anders leben können als diejenigen, bei denen wir es anprangern. Aber es ist da, in uns, und wir begehen eine Verfremdung unserer menschlichen Realität, wenn wir dies übersehen. Und Verfremdung macht uns einander fremd, schafft Missverständnisse und führt zu Ungerechtigkeiten, die wiederum Abwehrhaltungen und Reaktionsketten auslösen.
Hieronymus Bosch, 1450 - 1516
Gegeben ist uns letztlich alles. Die Wut, der Zorn, die Ohnmacht, die Resignation, die Frustration, die Liebe und die Zuneigung, der Glauben und der Unglauben, das Verstehen und Nichtverstehen, die Versehrtheit und die Unversehrheit und so vieles, vieles weiteres mehr. Diese Gefühle und Zustände zu verurteilen, hieße, uns alle zu verurteilen für das, was wir sind - oder zumindest jederzeit sein und werden können. Was wir daraus machen, mit welcher Offenheit und Ehrlichkeit wir uns und anderen nähern und um welche Richtung wir uns bei dem Versuch unseres Lebens bemühen, das scheint mir das Ausschlaggebende zu sein. Und da sehe ich vor allem uns in den westlichen Ländern - die wir die Privilegien von demokratischen und reichen Gesellschaftsformen genießen - an allererster Stelle aufgerufen, diesen Ansatz in unser Leben aufzunehmen.

So zumindest lauten meine Überlegungen, Ansätze und Fragen, wenn ich mir die Bilder des Krieges betrachte, die vor allem uns Bewohnern der westlichen Hemisphäre ins behagliche Wohnzimmer gesendet werden, während sie für andere eine bittere und tödliche Realität darstellen.Und wie lauten Eure......?
Nachdenkliche Grüße sendet Euch,

Sarah-Lee

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~


Als Kind habe ich immer gedacht,
die Füße des Regenbogens stehen
irgendwo auf der Erde.
Da möchte ich hin.
Heute weiß ich:
Nichts hat einen Fleck, eine feste Stelle.
Aber alles ist ein Fleck und eine Stelle......
für einen Regenbogen.

(Hugo Kükelhaus - "Notizen aus dem 2. Weltkrieg)




Hallo, Ihr Lieben!

Die vergangene Woche war geprägt von vielen Eindrücken und Überlegungen, von denen ich einige gerne mit Euch teilen würde. Ich erhielt etliche Mails und Gästebucheinträge zu meiner Homepage, die mir von großer Bedeutung waren. Sie alle erreichten mich zu einem Zeitpunkt meines (Er-)Lebens, an dem sie mit anderen Geschehnissen und Entwicklungen zusammenfielen und dadurch neue Sichtweisen und Realitäten kreierten. Viele liebevolle und warmherzige Worte und Wünsche von Besuchern meiner Homepage erreichten mich in mutlosen Phasen und gaben mir wieder ein Gefühl für meine eigenen Seelenwerte, aus dem heraus dann neue Wege und Einsichten entstehen konnten

Darunter befand sich auch ein Mail von einem Leser meiner Homepage, welches ebenfalls wohlwollend gehalten war, in seiner Art aber auch eine Herausforderung für mich darstellte. Auf dieses Mail möchte ich heute hier etwas genauer eingehen, da mir scheint, dass es in seiner Fragestellung uns alle betrifft, die wir uns auf die eine oder andere Art und Weise auf dem "Seelenweg" befinden. Aber auch, weil es mir zu größerer Klarheit bezüglich meiner eigenen Werte verholfen hat.

Der Inhalt meiner Homepage schien bei dem Leser den (hier nur kurz zusammengefassten) Eindruck hinterlassen zu haben, dass ich für den Rückzug ins Private und für die Wiederkehr der Blumenkinderzeit plädiere, dem Biedermeier und romantischen Vorstellungen huldige, den drohenden Kriegsgefahren mit Seelenschwingungen antworten möchte und mich nur durch die Leugnung der Realität der Seelenlage zu stellen wisse. Er billigte mir diese Haltung als mein gutes Recht zu, welche aber eben doch bedenklich angesichts drohendem Krieges, Hungerkatastrophen und vielen weiteren katastrophalen Situationen anzusehen sei. Zudem empfahl er mir ein bestimmtes Buch zur Lektüre, welches eine gemeinsame Weltordnung gegen die Selbstzerstörung zu empfehlen scheint.

Dieses Mail, welches ich mit seinen Fragen und seiner Sorge um die weltpolitische Entwicklung durchaus ernst nehme, hinterließ verständlicherweise recht gemischte Gefühle und Gedanken in mir, so dass ich mir einige Zeit des in Frage gestellten Rückzugs nehmen musste, um nicht unausgegoren darauf zu reagieren (was ja schon einmal für den Rückzug an sich sprechen dürfte :-) ).

Ich bemerkte, dass ich mich regelrecht erschlagen fühlte, von all diesen Vorwegnahmen und Festlegungen zu meiner Person und Ausrichtung und dass dies auch verletzend auf mich wirkten. Ebenso verspürte ich Unlust, auf diese Fragen zu antworten. Denn wenn ich mich erst aus vorgefertigten Meinungen befreien muss, um (eventuell) als Ich wahrgenommen zu werden, gestaltet sich Kommunikation sehr anstrengend und nimmt mir im Grunde bereits im Vorfeld die Hoffnung, jemals als "Ich" gesehen und akzeptiert zu werden.

Dennoch entschloss ich mich nach einiger Zeit zu einer Antwort, da dies im Grunde sehr typische Fragen und Vorhaltungen sind, die Menschen wie mir - die für einen inneren Weg eintreten - immer wieder schnell und gerne gestellt, beziehungsweise gemacht werden. Denn ich setze andere Akzente als gemeinhin üblich und ich bewege mich in meiner Ausrichtung in einem Bereich, der nicht so leicht konkret zu fassen ist; was immer wieder das Misstrauen und die Skepsis meiner Mitmenschen auf den Plan zu rufen scheint.

Es ist gewisslich richtig, dass die Wege nach Innen meistens mehr Rückzug benötigen als andere Wege, was meiner Meinung nach auf verschiedenen Gründen basiert. Zum einen äußert sich die Seele nicht so lauttönend, wie all die Menschen, Maschinen, Fahrzeuge und Betriebsamkeiten um uns herum. Es muss schon eine gewisse Stille und Bedachtsamkeit gewährleistet sein, um sich selber im Herzen noch wahrnehmen zu können. Zum anderen scheint die Seele von sich aus nur selten genormte Wege und Ziele anzustreben, so dass wiederum ein gewisser Abstand von gesellschaftlichen Beeinflussungen nötig wird, um diese entdecken und ausprobieren zu können.. Doch sie ist nicht nur leise und sehr individuell, sie ist auch verletzlich, wenn sie geöffnet ist. Festlegungen und Vorurteile wie die eben aufgezählten tun ihr weh und beschränken und verkleinern sie auf etwas, dass ihr nicht entspricht. So ist es leider in unserer Gesellschaft des öfteren auch eine Notwendigkeit, einen gewissen Rückzug anzutreten, wenn man denn mit halbwegs offener Seele durch das Leben gehen möchte und sie nicht durch einem inneren Panzer schützen und verschließen müssen will.

Ich bin der festen Überzeugung, dass die äußeren Panzer, die da zur Zeit schrecklicherweise überall zum Krieg auffahren, gar nicht so weit entfernt von den inneren Seelenpanzern der Menschen liegen, die zu diesen äußeren Gewaltmitteln greifen oder sie befürworten. Anderen Gewalt antun kann ich letztlich doch nur, wenn ich mich selber in meiner Verletzlichkeit nicht bewusst spüren traue, spüren kann oder darf. Und in diesem Sinne plädiere ich tatsächlich für einen Rückzug. Nicht für den Rückzug aus der Welt, nicht für den Rückzug aus dem Engagement für eine Sache, sondern für einen Rückzug zu sich selber, zu der eigenen inneren Wahrhaftigkeit.

Dieser erst würde meiner Meinung nach bedingen, dass wir, wenn wir uns wieder handelnd nach außen wenden, nicht unreflektiert von gesellschaftliche Normen und Beeinflussungen, Vorurteilen und/oder falschen Schutzpanzern beeinflusst werden, die letztlich sehr wohl - wenn auch meist unbeabsichtigt - Auslöser für Kriege darstellen können. Wenn wir uns selbst erkennen dürfen, in all unserer Verletzlichkeit und Stärke, all unseren Zweifeln und Überzeugungen, all unserer Komplexität und Einfachheit, werden wir gewisslich nicht mehr von der Überzeugung ausgehen, dass es nur richtige und falsche Wege, Verhaltensweisen oder Menschen gibt, die es zu bestärken oder zu bekämpfen gilt. Wir werden ein bisschen tiefer und genauer hinschauen, ehe wir uns eine Meinung bilden und diese als die einzige Wahrheit ansehen, die es eventuell auch noch zu verteidigen gilt.

Die Schwierigkeiten des Miteinanders, die bleiben uns gewisslich trotzdem. Aber wer wirklich in seine Seele horcht wird wissen, wie schwer es oft allein schon ist, die eigenen verschiedenen Gefühlsanteile und -bestrebungen unter einen (Lebens-)Hut zu bringen und wird deshalb auch eine gewisse Toleranz für die Menschheit und ihre Schwierigkeiten des Miteinanders entwickeln. Ebenso wird er spüren, dass er auch bei sich selber nichts als Schmerz und Leid erzeugt, wenn er mit Gewalt eine Einigung seiner verschiedenen Anteile erzwingen wollte, die wahrscheinlich auf der Verdrängung bestimmter Seiten von ihm fußen müsste. Zudem wird ihm bewusst sein, dass Leid Druck erzeugt, der irgendwann und irgendwo entladen wird, dort wiederum Druck erzeugt und auch aus solchen Spiralen Kriege entstehen können! Ein Druck, der immer zuerst bei Einzelnen entsteht, ehe er weltpolitische Auswirkungen annehmen kann. So dass es also durchaus Sinn macht, bei sich und seiner Seele mit dem Wirken für den Frieden zu beginnen!

Ich bin immer sehr skeptisch, wenn das aktiv Handelnde (versus dem sogenannten passiven Rückzug) als das alleinig Wirksame angesehen wird. Denn meiner Ansicht nach hat nicht nur das Sicht- und Messbare seinen Wert und seine Wirkung im Guten wie im Schlechten, sondern auch das nicht so leicht Wahrzunehmende erzeugt eigene Lebensgrundlagen. Es sind doch gerade auch die zunächst nicht sicht- und messbaren Gefühlsbereiche, die zu Aktionen und Gegenaktionen führen, so dass ich es fast schon als leichtsinnig ansehe, dem Gefühlsbereich so wenig konkrete Bedeutung zuzuschreiben, wie es in unserer Gesellschaft tagtäglich immer noch praktiziert wird.

Skeptisch bin ich immer auch dann, wenn Dinge und Geschehnisse in gut und böse, richtig und falsch aufgespalten werden. Natürlich kann man sagen, dass Rückzug verkehrt sei und wird damit immer auch eine gewisse Richtigkeit vertreten. Doch Rückzug woraus, Rückzug wohin, Rückzug in welchem Zusammenhang? Wir müssen immer einen Blickwinkel wählen, wenn wir eine allgemeingültige Aussage machen wollen. Doch schwenken wir unseren Blick nur um ein paar Grad weiter, mag sich diese Aussage schon wieder vollkommen relativieren. Es gibt letztlich keine allgemeingültige Wahrheit, sondern lediglich Sichten und Wahrnehmungen, die jeweils auf verschiedenen Grundlagen fußen. Und wenn wir das aus den Augen verlieren, verlieren wir uns in Polaritäten, die - immer für eine Einseitigkeit, einen extremen Punkt des Ganzen stehend - eine der häufigsten Ursachen für Meinungsverschiedenheiten, Kämpfe und auch Kriege bilden.

So möchte ich denn sagen, dass auch wir Menschen, die wir vorwiegend den inneren Seelenpfaden und damit vielleicht auch einem häufigen Rückzug folgen, sehr wohl unseren Beitrag zum Frieden leisten können! Dass dieser sehr wenig erkannt und geachtet und meistens auch verkannt wird, stellt in meinem Augen eine der Härten dieses Weges dar!

Es erfordert Mut, sich aktiv gegen Kriege und Gewalt einzusetzen! Es erfordert aber ebenso Mut, zu sich und seiner eigenen Verletzlichkeit und Widersprüchlichkeit als Mensch zu stehen und dafür eventuell auch noch öffentlich einzutreten!

Für mich gibt es so viele Wege, wie es Menschen gibt und ich möchte auf meiner Homepage zu beseelten, wahrhaftigen und verständnisvollen Wegen ermutigen, wie immer diese im Einzelnen dann auch aussehen mögen.
Friedvolle Grüße sendet Euch,

Sarah-Lee



Seelenwege


 

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma