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Hallo, Ihr Weblog-Reisende!

Heute möchte ich Euch auf die oftmals seltsamen Pfade der Liebe entführen und dazu mit Euch ein wenig in die Vergangenheit reisen. Genauer gesagt in die Zeit der Jahrhundertwende um 1800, in der die nachfolgende Geschichte geschrieben wurde. Die Sprache dieses Textes mutet uns wahrscheinlich altertümlich bis merkwürdig an, dennoch spricht sie auch heute noch zu uns. Denn es ist die Sprache der Romantik, die Sprache des Herzens, die da zu uns spricht. Nicht nur der Inhalt der Geschichte, sondern auch die Geschichte selber in ihrem Erhalt durch die verschiedenen Lebens-Epochen zeigt uns, wie zeitlos gültig und ewig die Liebe ist, wie sehr wir ihrer bedürfen und wie sehr sie unser aller Leben prägt. Doch noch etwas anderes scheint mir in ihr zu liegen. Der Glaube an die Kraft der Liebe, die sich auch ohne den geliebten Menschen halten und ein ganzes Leben leiten und prägen kann, sofern wir dies zulassen. Liebe ist wohl immer ein Schicksal, ein Wunder, ein Bedürfnis, tiefe Freude und ebenso tiefes Leid. Aber neben all dem ist sie auch eine Wahl, für die wir uns - manchmal gegen alle Enttäuschungen und Schmerzen - entscheiden können. Die Wahl, die Welt durch die Augen der Liebe zu sehen, die Liebe in uns zu bewahren und zu halten, selbst wenn der geliebte Mensch schon gegangen sein mag. Denn die Dinge sind nicht wie sie sind, sondern sie sind, wie sie gesehen und empfunden werden. Ihren eigentlichen Glanz aber bekommen sie, wenn sie sind, wie sie geliebt werden!

Es grüßt Euch mit Liebe

Sarah-Lee


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Unverhofftes Wiedersehen

Von J. P. Hebel
(1760 - 1826)

In Falun in Schweden küsste vor guten fünfzig Jahren und mehr ein junger Bergmann seine junge, hübsche Braut und sagte zu ihr: "Auf Sankt Lucia wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet. Dann sind wir Mann und Weib und bauen uns ein eigenes Nestlein." - "Und Friede und Liebe soll darin wohnen", sagte die schöne Braut mit holdem Lächeln, "denn du bist mein einziges und alles, und ohne dich möchte ich lieber im Grab sein als an einem anderen Ort". Als sie aber vor Sankt Lucia der Pfarrer zum zweiten Male in der Kirche ausgerufen hatte: "So nun jemand Hindernis wüsste anzuzeigen, warum diese Personen nicht möchten ehelich zusammenkommen", da meldete sich der Tod. Denn als der Jüngling den anderen Morgen in seiner schwarzen Bergmannskleidung an ihrem Haus vorbeiging, der Bergmann hat sein Totenkleid immer an, da klopfte er zwar noch einmal an ihrem Fenster und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten Abend mehr. Er kam nimmer aus dem Bergewerk zurück, und sie säumte vergeblich selbigen Morgen ein schwarzes Halstuch mit rotem Rand für ihn zum Hochzeitstage, sondern als er nimmer kam, legte sie es weg und weinte um ihn und vergaß ihn nie. Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in Portugal durch ein Erdbeben zerstört, und der Siebenjährige Krieg ging vorüber, und Kaiser Franz der Erste starb, und der Jesuitenorden wurde aufgehoben und Polen geteilt, und die Kaiserin Maria Theresia starb und der Struensee wurde hingerichtet, Amerika wurde frei, und die vereinigte französische und spanische Macht konnte Gibraltar nicht erobern. Die Türken schlossen den General Stein in der Veteraner Höhle von Ungarn ein, und der Kaiser Joseph starb auch. Der König Gustav von Schweden eroberte Russisch-Finnland, und die Französische Revolution und der lange Krieg fing an, und der Kaiser Leopold der Zweite ging auch ins Grab. Napoleon eroberte Preußen, und die Engländer bombardierten Kopenhagen, und die Ackerleute säeten und schnitten. Der Müller mahlte, und die Schmiede hämmerten, und die Bergleute gruben nach den Metalladern in ihrer unterirdischen Werkstatt. Als aber die Bergleute in Falun im Jahr 1890 etwas vor oder nach Johannis zwischen zwei Schachten eine Öffnung durchgraben wollten, gute dreihundert Ellen tief unter dem Boden, gruben sie aus dem Schutt und Vitriolwasser den Leichnam eines Jünglings heraus, der ganz mit Eisenvitriol durchdrungen, sonst aber unverwest und unverändert war, also dass man seine Gesichtszüge und sein Alter noch völlig erkennen konnte, als wenn er erst vor einer Stunde gestorben oder ein wenig eingeschlafen wäre an der Arbeit. Als man ihn aber zu Tag ausgefördert hatte, Vater und Mutter, Gefreundte und Bekannte waren schon lange tot, kein Mensch wollte den schlafenden Jüngling kennen oder etwas von seinem Unglück wissen, bis die ehemalige Verlobte des Bergmanns kam, der eines Tages auf die Schicht gegangen war und nimmer zurückkehrte. Grau und zusammengeschrumpft kam sie an einer Krücke an den Platz und erkannte ihren Bräutigam; und mehr mit freudigem Entzücken als mit Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche nieder , und erst als sie sich von einer langen heftigen Bewegung des Gemüts erholt hatte; "es ist mein Verlobter", sagte sie endlich, "um den ich fünfzig Jahre lang getrauert hatte und den mich Gott noch einmal sehen lässt vor meinem Ende. Acht Tage vor der Hochzeit ist er auf die Grube gegangen und nimmer gekommen." Da wurden die Gemüter aller Umstehenden von Wehmut und Tränen ergriffen, als sie sahen die ehemalige Braut jetzt in der Gestalt des hingewelkten kraftlosen Alters und den Bräutigam noch in seiner jugendlichen Schöne, und wie in ihrer Brust nach fünfzig Jahren die Flamme der jugendlichen Liebe noch einmal erwachte; aber er öffnete den Mund nimmer zum Lächeln oder die Augen zum Wiedererkennen; und wie sie ihn endlich von den Bergleuten in ihr Stübchen tragen ließ, als die einzige, die ihm angehörte und ein Recht an ihn habe, bis sein Grab gerüstet war auf dem Kirchhof. Den anderen Tag, als das Grab gerüstet war auf dem Kirchhof und ihn die Bergleute holten, schloss sie ein Kästchen auf, legte ihm das schwarz-seidene Halstuch mit roten Streifen um und begleitete ihn in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr Hochzeitstag und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre. Denn als man ihn auf dem Kirchhof ins Grab legte, sagte sie: "Schlafe nun wohl, noch einen Tag oder zehn im kühlen Hochzeitsbett, und lass dir die Zeit nicht lang werden. Ich habe nur noch wenig zu tun und komme bald, und bald wird’s wieder Tag. Was die Erde einmal wiedergegeben hat, wird sie zum zweiten Male auch nicht behalten", sagte sie, als sie fortging und sich noch einmal umschaute.
 

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